© Patrick Chapatte in „le Temps“ über infosperber, Übersetzung «Wir waren für eine bessere Welt … sie für eine nicht schlimmere!»

Da geht man nichtsahnend zum Einkaufen und plötzlich versperrt ein Rudel Schüler, ausgerüstet mit Trillerpfeifen, Megafonen und Plakaten den Weg. Wie die Jugend halt so ist: lärmend und rücksichtslos. Wir, denen sie ja eigentlich ihr Leben verdanken, machen ihre Zukunft kaputt, plärren sie. Und „Gedankenwandel statt Klimawandel“ steht auf ihren Plakaten. Wie soll das denn gehen? Eine kichernde 15jährige hält ein Schild hoch „Rettet die Natur statt Diesel“. Keine Ahnung von Wirtschaft und Wohlstand, aber krakeelen! „Clean the Air“ steht da auf einem Plakat, das wie eine schmutzige Wolke ausschaut. Absolut dilettantisch gemalt und Deutsch können sie auch nicht. Es ist empörend. Übrigens lauter Schulschwänzer*innen. Heute ist Freitag. Das heißt doch noch lange nicht, dass sich die alles frei nehmen können! Am Montag in der Matheprüfung können sie dann wieder nicht bis drei zählen, die Helden*innen. Und der Staat lässt sich das alles gefallen. Einerseits kein Wunder, denn am Freitag arbeitet im Kultusministerium nur noch der Portier und dem ist das so lange alles wurscht, bis siebenhundert Schreihälse vor seiner Pforte stehen und ihn mit einer Petition bedrohen, was immer das auch ist. Außerdem: was hat Kultur mir Natur zu tun? Da sieht man doch wieder, wie alles beliebig vermischt wird, um am Freitag nicht in die Schule zu gehen. In der Zeitung stand, dass sogar Schulleiter mit den Knirpsen „sympathisieren“. Das ist absolut unverständlich, nur aus Sicht der Lehrer vielleicht doch: jeden Freitag frei, juchhei, die Vier-Tage-Woche kommt bei vollem Gehalt. Das sind neben den normalen drei Monaten Ferien noch 37,5 Frei-Tage.

Die alte Dame vor mir ist richtig wütend: „Ich wollt doch nur rüber zu Edeka“ jammert und flucht sie, „aber die lassen einen ja nicht durch da!“ Sie dürfte so an die achtzig sein. Da sind fünf versäumte Minuten mehr wert, als mit 15 ein schulfreier Freitagvormittag. Ein Herr aus der Zugspitzstraße, der oft als Zuhörer in Gemeinderatssitzungen ist, steht auch da und klatscht begeistert Beifall. Schreit zu den Demonstranten*innen „Prima, Maxi! Bin stolz auf Dich Liesl. Macht weiter so, Chrissi!“ bis ihn sein Nachbar höflich anstößt und freundlich fragt: „Und Du? Was tust Du gegen den Klimawandel? Na los, mach’s Maul zu und sag‘ an!“ Sie stehen sich gegenüber wie Kultur und Natur, wie Emotion und Verstand. Was wird überwiegen? Da sehe ich einen pensionierten Grundschullehrer neben mir, den meine Kinder liebten. Meinen Gruß erwidert er mit einem leisen Kopfnicken und einem Fingertipp an die Krempe seines speckigen Hutes. „Gut“ sagt er, „gut, dass die Kinder begriffen haben, was wir ihnen so lange verheimlichten: dass es so nicht weitergeht. Seit fünfzig Jahren machen wir doch alles kaputt: die Berge, die Natur, die Nahrung, die Märkte, den Anstand, den Zusammenhalt – ja, auch die Familien und den Frieden, den wir mühsam aufgebaut haben…“ Ich sah ihm in die müden Augen und fragte „aber warum?“ Leise sagte er „weil keiner mehr genug bekommen kann. Es geht nur noch um Geld und Macht. Anstand und Vertrauen haben verspielt. Es ist der Brutal-Kapitalismus, der alles kaputt macht.“ Da schlenderten gerade die letzten Schüler an uns vorbei. Die Straße war frei. Ohne Abschied ging er hinüber zu Edeka.

Da stand ich nun, wo früher bei Kommunalwahlkämpfen der rote Sonnenschirm der SPD leuchtete. Gegenüber CSU und FDP mit ihren Tischchen. In einem Jahr ist es wieder so weit. Irgendwie wünscht man sich, es solle doch wieder so sein wie damals. Aber die Menschheit entwickelt sich gemäß ihrem uralten Auftrag „macht Euch die Erde untertan“. Von Vernichtung hat der Alte aus dem Universum zwar nichts gesagt.

Lässt uns das und der Aufstand der Knirpse wirklich hoffen?

Das fragt sich Euer Franz Bimslechner

2 Replies to “Der Aufstand der Knirpse”

  1. Die letzten Tage zeigten, wie erwartet, wie sehr doch jener Franz Bimslechner richtig lag!
    Knirpse…
    Jede Graswurzelbewegung stößt erst einmal auf Skepsis. Erst recht dann, wenn erfolgreiche Entwicklungen plötzlich infrage gestellt werden. Nun aber könnte es interessant werden. Ein die junge Generation bewegendes Thema taucht auf; das Thema ist verbunden mit den Leuten, die seitens jener jungen Generation zu den Verursachern der Umweltfragen gezählt werden. Wie anders ist es zu erklären, dass nach dem Erscheinen der Proteste bestimmte Politiker ausgerechnet der Jugend meinen die Leviten lesen zu müssen: Die Jugend solle erst einmal lernen, wie Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren!
    Das sagen dieser Tage ausgerechnet die jungen Bundes-Politiker, die noch nie in ihrem Leben etwas anderes taten, als Politik zu machen. Welche Berufe übten denn die jetzt so lautstarken Jugend-Basher wie Lindner, Ziemiak, Spahn, Dr. Scheuer, Karliczek aus, um der Jugend rügend sagen zu dürfen, diese wüsste nicht einmal um die Basics Bescheid?
    Anstatt froh zu sein, dass über die mitdenkende Jugend die Alten an ihre Verantwortung gegeüber den Enkeln erinnert werden … nein, da beschimpft man sie. Interessanterweise vorwiegend in Mitternachtssendungen und im Radio.
    Früher gab’s mal einen CDU-General und Minister Heiner Geißler, dem nur ein einziger Vorwurf gemacht werden kann: Heiner Geißler hat es versäumt, seine Haltung, der Jugend genau aufs Maul zu schauen, sie zu verstehen und mit ihr zu reden, an seine heutigen Nachfolger weiterzugeben.
    Nie wäre ein Geißler auf die Idee gekommen, mit dem gesunden Menschenverstand so umzugehen, wie es CDU/CSU/FDP tun.
    Jugend, nur Mut, steter Tropfen höhlt den Stein. Lasst Euch nicht von der Jugend-Forscht-Abteilung der Berliner Politik ins Bockshorn jagen.
    HF

  2. Aufstand der Knirpse? Gute Frage!

    Nee, nee, nee. Denkste!
    Nachdem der zweitbekannteste aller bisher höchst erfolgreichen CSU-Verkehrsminister unwidersprochen auf sich verweisen und sagen darf, wer hier in der Republik über den gesunden Menschenverstand verfügt, liegt’s auf der Hand, was mit den Knirpsen passieren wird. Sie werden eingenordet und haben gefälligst dem gesunden Menschenverstand zu folgen. Und der sagt, die Burschen und Burschinnen sollen gefälligst in die Schule gehen und diese nicht schwänzen so wie die nichtsnutzigen Hamburger, denn bekanntlich wird hier und nicht dort fürs Leben gelernt.
    Wo kämen wir denn hin, die Knirpse und Knirpsinnen würden auch noch mitbekommen, wie der andere gesunde Menschenverstand, das ist der mit dem fränkischen Dreitagebart, derzeit mit den Grünen und deren Anliegen in Sachen Artenschutz umgehen lässt? Gut gemacht vom Dreitagebart, er schickt den mit dem allergrößten gesunden Menschen- und neuerdings auch Finanzverstand vor und lässt den verkünden, die Grünen hätten sich kräftig verhoben, nix da mit Artenschutz! Die Wiese wird gemäht, so wie bisher, Basta! Die Grünen sollen erst einmal die Interessen der Bauern verstehen lernen, Basta!.
    Und so wird jetzt schon aus dem Runden Tisch ein ziemlicher eckiger, vergleichbar mit dem Mobiliar großer Kolchosen, bei denen am Kopfende immer der saß, der’s Sagen hat.
    Der „Gesunde Menschenverstand“, verbriefte Alleinvertretungsrechte bei der CSU, stellt sicher, Hochgeschwindigkeitsland zu bleiben. Er hat jüngst über den Wirtschaftsminister, das ist der, der jetzt wegen Bilanzierungsfragen heftig sparen muss, mitteilen lassen, dass der „Gesunde Menschenverstand“ auch in Sachen Artenvielfalt zum Tragen kommt. Wie kann so viel „Gesunder Menschenverstand“ so lange aufgeteilt werden, bis niemand mehr merkt, wie viel es eigentlich war?
    Was wohl die Knirpse dazu sagten, merkten sie’s? Aber bitte nur nachmittags, keinesfalls in der Schule.
    HF

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