Es ging um das „Herz Tutzings„, um „die Möglichkeit, eine Mitte Tutzings zu schaffen„, so die 1. Bürgermeisterin Marlene Greinwald in der Sitzung des Gemeinderats (GR) am 06.07.2021 zu den Plänen für die Hauptstraße 39. Wie bekannt, haben die Eigentümer keinen Nachmieter für die von Edeka verlassenen Flächen gefunden; auch bei dem beliebten Haushaltswarengeschäft der Anton Müller KG („Kohlen-Müller“) steht die Nachfolgefrage im Raum. Die Eigentümer haben sich daraufhin entschlossen, das Grundstück von 1.858 m² an einen Projektentwickler zu verkaufen. Die Wittmann ProjektManagement GmbH ist zu einem sehr frühen Zeitpunkt auf die Gemeinde zugegangen und hat zusammen mit dem gemeindlichen Stadtplaner Prof. Florian Burgstaller einen ersten Entwurf erarbeitet, der in der Sitzung präsentiert wurde. Kern des Entwurfs ist ein ein um 6 Meter zurückgesetztes dreistöckiges Gebäude und zwei zweigeschossige Kopfbauten. Dadurch wird die Fläche, die durch die Zurücksetzung des Hauptgebäudes von der Straße entsteht, sozusagen eingerahmt. Ein weiteres Wohnhaus soll im rückwärtigen Bereich des Grundstücks entstehen. Im Erdgeschoss an der Hauptstraße sind Geschäfte möglichst mit ortsbelebendem Charakter vorgesehen, vielleicht auch Gastronomie, ansonsten sind Wohnungen geplant. Prof. Burgstaller betonte, hier nicht als Planer des Investors aufzutreten, dieser habe bislang keinen Planer eingeschaltet. Der Entwurf ist quasi der erste Aufschlag der Gemeinde in Absprache mit dem Investor. Das Verfahren ist besonders und lobenswert, denn üblicherweise werden Ausschuss und Gemeinderat Planungen der Investoren vorlegt, die eine maximale Ausnutzung des Grundstücks vorsehen; dem sich dann ein oft mühsamer iterativer Prozess anschließt, um zu einer zustimmungsfähigen Lösung zu gelangen. Ausgangspunkt der Planung war die aktuelle Situation: Die Hauptstraße ist momentan eine reine Durchgangsstraße, ohne erkennbare Struktur und Ortsmitte. Die bestehende Situation einer Durchgangsstraße soll unterbrochen und aufgelockert und ein Ortsmittelpunkt mit Platzcharakter geschaffen werden. Prof. Burgstaller stellte in seiner ausführlichen Präsentation mit zahlreichen Visualisierungen vor, dass bereits früher der Platzcharakter an Marien- und Schlossstraße gesehen wurde. Im aktuellen Bebauungsplan sei auch bereits der Rücksprung der Fassade eingeplant gewesen. Darüber hinaus könnten der östliche und der westliche Bereich optisch zusammengezogen werden, dies könne man noch einmal diskutieren.
Der Vorschlag zur Bebauung selbst fand keine ungeteilte Zustimmung, vielmehr erschien zahlreichen Mitgliedern des Gemeinderats der traufseitig zur Straße stehende Baukörper zu wuchtig, zu groß und zu hoch. Die Schaffung einer Platzsituation durch das Zurücksetzen des Hauptgebäudes wurde jedoch allseits anerkannt. Letztlich, so resümierte die Bürgermeisterin, sei man gar nicht so weit auseinander. Man wolle doch die Belebung der Ortsmitte und bessere Bedingungen für die Geschäftswelt. Da müsse man sich nun hinarbeiten und käme sicher zu einem guten Ergebnis.

Von der Höhe erreicht das Gebäude das nördliche Haus, es ist niedriger als das Kurhaus. Das südliche Gebäude an der Ecke zur Traubinger Straße könnte in Zukunft aufgestockt werden. Die derzeit voll versiegelte Fläche würde durch einen Garten im Süden und Westen zu 40% entsiegelt.

Die Projektentwickler Felix Wittmann und Christoph Grill waren in der Sitzung anwesend. Ihr Ziel ist die partnerschaftliche Entwicklung des Ortszentrums mit der Gemeinde. Es soll eine nachhaltige, lokale, nach 30 Jahren noch interessante Architektur entstehen; die Gestaltung der Fassaden habe noch nicht begonnen. Der Ortskern solle belebt werden und Wohnraum für Familien, Einheimische geschaffen werden, auch mit einkommensorientierter Zusatzförderung (EOF) für Mieter.
Bauamtsleiter Christian Wolfert erläuterte die bauplanungsrechtliche Situation. Sinnvoll wäre ein vorhabensbezogener Bebauungsplan mit Durchführungsvereinbarung nur für dieses Flurstück 95/1. Entsprechend wurde einstimmig beschlossen, (1) den Bebaungsplan Nr. 78 „Ortszentrum Tutzing“, Teilbebaunnsplan 1 aufzuteilen in den Teil 1.1 für das genannte Grundstück und den Teil 1.2 für die übrigen Grundstücke, (2) die 1. Änderung des Teils 1.1. zu beschließen, (3) mit der Ausarbeitung des Bebaungsplanentwurfs den Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München zu beauftragen (Prof. Burgstaller und Landschaftsplanerin Monika Treiber sollen weiter beraten), (4) einen städtebaulichen Vertrag mit den Investoren zur Übernahme der Planungskosten abszuschließen, (5) rechtlichen Rat und Begleitung im Bebauungsplanverfahren einzuholen und (6) die Zuständigkeit beim Gemeinderat zu belassen.

Weitere Punkte der Sitzung:

  • Einstimmig wurde die Änderung des Bebauungsplans Nr. 48 “Frey-Grundstück” nach Empfehlung durch den Bau- und Ortsplanungsauschuss beschlossen. Aus Datenschutzgründen wird die Bezeichung „Frey-Grundstück“ gestrichen. Mit der Ausarbeitung soll der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München beauftragt werden. Das weitere Verfahren, einschließlich des Satzungsbeschlusses, soll an den Bau- und Ortsplanungsausschuss übertragen werden. Hintergrund ist die umfassende Neuordnung der Bebauung in einer neuen Form unter Erhaltung des Baumbestands. Beschlossen wurde daher auch, die Haftungsproblematik der Baumwurfgefahr für die unter den Bäumen geplanten Gebäude zu klären; der Gemeinde dürften hierdurch keine Nachteile entstehen. In die Änderung soll ein zweiter Antrag für zwei neue Bauräume für kleinere Gebäude östlich und westlich des Bestandsgebäudes einfließen.
  • Einstimmig wurde für den Bebauungsplan Nr. 37 “Gewerbegebiet Kampberg” die 3. Änderung beschlossen – ebenfalls nach einem entsprechenden Empfehlungsbeschluss des Bau- und Ortsplanungsausschuss. Mit der Ausarbeitung wurde der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München beauftragt, das weitere Verfahren, einschließlich des Satzungsbeschlusses, wurde an den Bau- und Ortsplanungsausschuss übertragen. Zur Übernahme der Planungskosten wird mit dem Bauwerber ein städtebaulicher Vertrag geschlossen. Hintergrund der Änderung ist ein Antrag des Bauwerbers, ein Gebäude mit Tiefgarage und Zufahrt von der Blumenstraße zu errichten, der derzeit gültige Bebauungsplan jedoch eine Doppelgarage vorsieht. Prof. Burgstaller gab zusätzlich den Hinweis, auf eine ruhige Archtiektur einschließlich traditioneller, ländlich gestalteter Fassaden zu achten.
  • Mehrheitlich gegen eine Stimme wurde nach Empfehlung des Bau- und Ortsplanungsauschusses der Beschluss gefasst, den Bebauungsplan Nr. 46 “Tutzing Nordwest – östlich der Traubinger Straße”, Teilbebauungsplan 10 “Reiserbergweg/Beisele-/Bockmayrstraße” zu ändern bzw. zunächst zwei Unterpläne aufzustellen: Teilbebauungsplan 10.1 „Zwischen Reiserbergweg und Bockmayrstraße“ und Teil 10.2 „Zwischen Bahnlinie und Reiserbergweg“. Im konkreten Fall, Reiserbergweg 13,  ging es darum, dass für ein bestimmtes Grundstück die Grundflächenzahl GRZ 0,17 beträgt, der Bauwerber im Umfang von 0,20 bauen möchte; aktuell beträgt die Fläche des bestehenden Gebäudes 0,16. Die GRZ im vom Bebauungsplan umfassten Gebiet sind uneinheitlich, grob zwischen 0,15 und 0,17 mit Ausreißern bis 0,22. Der gemeindliche Planer Prof. Florian Burgstaller plädierte für eine Vereinheitlichung und wies darauf hin, dass eine Überschreitung der GRZ von 0,17 durch energiesparende Bauweise schnell zu 0,185 führen würde. Er halte daher eine Erhöhung auf 0,19 in einem Teilgebiet für verträglich. Mit der Ausarbeitung wurde der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München beauftragt. Das weitere Verfahren, einschließlich des Satzungsbeschlusses, wurde an den Bau- und Ortsplanungsausschuss übertragen. Die Bürgermeisterin betonte, man wolle durch die Vereinheitlichung auf 0,19 Ruhe in die Situation unterschiedlicher GRZ bringen und eine gewisse Gerechtigkeit herstellen.
  • Unter Einbeziehung der gefassten Beschlüsse wurde die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 64 „Bahnhofstraße“ für die Flurstücke 618/4 und 618/5 samt Begründung in der Fassung vom 06.07.2021 einstimmig als Satzung beschlossen. Nach der letzten Auslegung waren vom Landratsamt und vom Wasserwirtschaftsamt nur geringfügige redaktionelle Hinweise gekommen, die eingearbeitet werden.

Unter Mitteilungen und Anfragen, Verschiedenes gab die Bürgermeisterin bekannt, dass am 26.07.2021 dem vormaligen Kommandanten der Feuerwehr Tutzing, Markus Kuisl, die Bürgermedaille verliehen werden wird. Zwei Tage später, am 28.07.2021, werden ausgeschiedene Mitglieder des Gemeinderats mit der Bürgermedaille geehrt. Zur Situation im Südbad erklärte die Bürgermeisterin, für den Badebetrieb werde wieder Eintritt genommen. Die sei losgelöst von der aufgeworfenen Problematik der Haftung seitens der Gemeinde. Was die Zulassung der SUP-Boards betreffe, will sie eine Klärung herbeiführen, am Rande sollten die Boards zu Wasser gelassen werden können, das wäre bislang so gewesen. Möglicherweise gäbe es Schwierigkeiten, wenn das Bad voll belegt sei. Angesprochen auf die Luftfilteranlagen für die Schulen zur Vermeidung des Wechselunterrichts im kommenden Schuljahr meinte die Bürgermeisterin, der Freistaat solle auch zahlen, wenn er diese Anschaffung empfehle. Ihr fehle die Konnexiät (Verfasser: der Zusammenhang von Aufgabe und Finanzverantwortung oder kurz: „Wer bestellt, bezahlt“). Auf die entsprechende Frage bedauerte die Bürgermeisterin, das der Minigolfplatz im laufenden Jahr nicht benutzbar sei. Ratskollegin Caroline Krug erkundigte sich danach, wie die Gemeinde auf die Wünsche der Jugendlichen reagieren wolle, die im Portal vorort.news publiziert wurden. Die Bürgermeisterin erklärte, die Jugendlichen würden hier gleich lernen, das es nicht so einfach sei im politischen Prozess, dass es ein Miteinander gebe, um Ziele zu erreichen.

Alle Zeichnungen: © Prof. Florian Burgstaller
Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Investors

3 Replies to “GR: „Die Möglichkeit, eine Mitte Tutzings zu schaffen“”

  1. Die Kernbotschaft der Bürgermeisterin zur Jugendwunschliste finde ich richtig:Ohne Moos nix los. Denn um die wünschenswerten Vorhaben zu realisieren, muss zunächst gemeinsam überlegt werden, (i) an welcher Stelle Mittel einzusparen sind – also welcher Bürgergruppe können wir die ohnehin knappen Gelder zum Wohle der Jugend entziehen- und (ii) wie schaffen wir neue Einnahmequellen, um den Wünschen möglichst vieler Bürgergruppen gleichermaßen gerecht zu werden. Aufgrund der angespannten Finanzsituation stehen also viele grundsätzliche Entscheidungen zur künftigen Ausrichtung Tutzings an. Diese müssen unter Beteiligung der Bürger im Rahmen eines strategischen Konzepts für Tutzing getroffen werden.

    1. Seit Jahren werden die wenigen Angebote für junge Menschen, die es überhaupt je in diesem Ort gab, (um nur ein kleines Beispiel zu nennen: die schwimmenden Balken und die Balancierbalken im Südbad) ohne mit der Wimper zu zucken, rückgebaut. Naja, und dann, liebe Frau Vorlíčková, geht es im Leben und im gesellschaftlichen Miteinander ja durchaus um mehr als nur ums Geld. Zum Beispiel hat die Solidarität, der außerordentliche Verzicht junger Menschen zur Lebensrettung der von Corona gefährdeten Älteren, einen ungeheuren und auch in monetären Größen zu beziffernden Dienst erwiesen. Wenn das jetzt weder bemerkt noch honoriert wird, dürfte das mittelfristig zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft kommen, die uns erheblich teurer kommen dürfte, als eine Begegnungsstätte für junge Menschen.

  2. Was die Jugendlichen durch diese Bemerkung der Bürgermeisterin lernen können, ist noch etwas anderes, als die Schlussfolgerung von Frau Greinwald. Das ist die bittere Einsicht, dass es in diesem Ort der extrem Wohlhabenden für deren Volksvertreter nicht die leiseste Notwendigkeit gibt, sich auf die Wünsche junger Menschen einzustellen. Die Tonlage lässt an der völligen Interesselosigkeit der Bürgermeisterin an der Sache der Jugend keinen Zweifel. – Man wünscht sich für den Ort, dass sie bald durch eine Person mit mehr Weitsicht abgelöst wird.

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