Das derzeit vorhandene Baurecht auf einem Brachgelände südlich vom Sudhaus und den Supermärkten soll nach Absicht der Eigentümerin nicht voll ausgeschöpft werden. Dies war eine Überraschung in der Sitzung des Gemeinderats (GR) am 08.03.2022 unter der Leitung der 1. Bürgermeisterin Marlene Greinwald. Der von VerlaPharm beauftragte Planer Martin Büscher präsentierte die Absicht der Bauwerberin, auf dem erworbenen Gelände in drei Bauabschnitten Wohnraum für Mitarbeiter des Unternehmens zu errichten. Der rechtsgültige Bebauungsplan Nr. 62 „Fabrikgelände Lindemannstraße“ aus dem Jahr 2005 sieht neben Supermärkten und Sudhaus Wohnbebauung im Süden vor. Acht langgetreckte Baukörper mit jeweils 3-4 Geschossen böte Platz für ca. 100-120 Wohneinheiten. Der von der Bauwerberin beauftragte Planer meinte, nach 17 Jahren sei der Plan überholungsbedürftig und an heutige Gegebenheiten und bauliche Standards anzupassen. Auf dieser städtebaulichen Brache sind in lockerer Bebauung nun fünf Mehrfamilienhäuser und – später – sechs Doppelhäuser mit insgesamt ca. 70 Wohneinheiten vorgesehen. Fahrzeuge verschwinden in einer großen Tiefgarage unter den Gebäuden mit Zufahrt im Norden, dazu gibt es viel Grünfläche. Außenstellplätze sind im Westen in den Bahndamm eingeschoben, dazu auch Stellplätze im Süden, jeweils gruppiert.

Die Höhenentwicklung zeigt vier Geschosse plus Terrassengeschoss im Norden, dann erringert sich die Zahl der Geschosse bis auf drei im Süden. Die Flachdächer sollen begrünt bzw. mit Fotovoltaik versehen werden. Der Schallschutz im Sportplatz soll durch Geländemodellierung und Abrücken hergestellt werden. In Zahlen deutet die neue Planung eine (1) Verringerung der Grundfläche um rd. 11% auf 2.530 m², (2) eine Verringerung der Geschossfläche um rd. 6% auf 8.765 m² und (3) dementsprechend eine verringerte Wohnfläche von 7.362 m² bei (4) gleichzeitig um rd. 37% auf 3.270 m² erhöhter Grünfläche. Weniger ist mehr!
Der Gemeinderat signalisierte volle Unterstützung für die neue Planung und zeigte sich anerkennend, dass die Bauwerberin nicht mehr sondern ein leicht verringertes Baurecht anstrebe. Ich erinnerte daran, dass es für Unternehmen immer schwerer werde, geeignete Fachkräfte anzuwerben, wenn gleichzeig am Ort kein Wohnraum zu bezahlbaren Preisen zu finden sei. Wenn durch dieses Vorhaben zu den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bei VerlaPharm in Tutzing Mitarbeiterwohnraum hinzukäme, dann sei dies ein Glücksfall für Unternehmen und Fachkräfte. Dazu werde das Einpendeln von Mitarbeitern reduziert. Die beiden ersten Bauabschnitte mit den Mehrfamilienhäusern sollen, so die grobe Zeitplanung, im Herbst 2024 bezugsfertig sein.
Bauamtsleiter Wolfert erläuterte das bevorstehende Verfahren. Dazu werde empfohlen, die Zuschnitte der Bebauungspläne Nr. 62 und Nr. 39 „VerlaPharm“ in der Weise zu verändern, dass die Flächen zur Wohnbebauung dem Plan Nr. 62 entnommen und dem Plan Nr. 39 zugeschlagen werden, so dass die Flächen im Eigentum der Bauwerberin in einem Bebauungsplan enthalten sind. Dazu werde Teil 1 „Gewerbe“ und Teil 2 „Wohnen“ gebildet. Der Imissionsschutz spiele natürlich bei der Nähe zum Sportplatz und zum Gewerbebetrieb ein große Rolle. Hier werden Festsetzungen im Bebauungsplan und im städtebaulichen Vertrag erforderlich sein. Dazu müsse man mit der Baurechtsminderung umgehen, damit in späteren Jahren keine Schadenersatzproblematik entstehe. Einstimmig fasste der Gemeinderat folgenden Beschlüsse: (1) Zustimmung zum präsentierten Baukonzept, (2) Änderung des Bebaungsplans Nr. 39, dessen Erweiterung mit Erschließung von Norden; (3) Neuer Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 39 mit Zweiteilung Gewerbe/Wohnen, (4) Beauftragung des Planungsverbands mit der Ausarbeitung der Änderungen, (5) Abschluss eines städtebaulichen Vertrags zur Übernahme der Planungskosten und (6) Auftrag an die Verwaltung, das Verfahren unter Hinzuziehung der Anwaltskanzlei Arnecke-Sibeth-Dabelstein, insbesondsere für die Themen Imissionsschutz und Baurechtsminderung, weiterzuführen.

Weitere Punkte der Sitzung:

  • Die 1. Bürgermeisterin hatte Martin Okrslar zu einem Vortrag über genossenschaftliche Wohnprojekte und Wohnkonzepte eingeladen. MARO stehe für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen – in jeder Lebensphase. Das Team von MARO schaffe die organisatorische Basis für die Verwirklichung von bedarfsgerechten und lebenswerten Wohnprojekten im ländlichen Raum. MARO sieht sich als Spezialist für nachbarschaftliches Miteinander im Mehrgenerationen-Wohnen. Die Projekte seien offen für alle, Singles, Paare, Senioren. Die Genossenhaft wurde 2012 gegründet und hat 1.500 Mitglieder. Zahlreiche Projekte, auch im Landkreis Starnberg, wurden bisher realisiert. Als Mindestgröße nannte der Gründer und Vorstand der MARO eine Zahl von 25 Wohnungen in dreigeschossigen Gebäuden, sonst sei die Wirtschaftlichkeit nicht zu erreichen. Auf meine Frage nach der rechtlichen Selbständigkeit erklärte Okrslar, ein Projekt in Tutzing würde wie alle anderen Projekte in der einen Genossenschaft verwirklicht, natürlich in einer Art Teilbuchhaltung mit eigener Wirtschaftlichkeitsrechnung. Die Nutzung der MARO hat natürlich den Vorteil, dass hier Infrastruktur und Erfahrung für die Verwaltung vorhanden sind. Ratskollege Michael Ehgarter erkundigte sich nach der Bewertung von Gemeindegrundstücken bei Verkauf bzw. Erbpacht an die Genossenschaft. Hier gebe es Instrumente, so Okrslar, wie den Betrauungsvertrag, der einen Verkauf seitens der Gemeinde unter Verkehrswert ermögliche, allerdings mit laufender Renditeüberprüfung.
  • Nachdem Erschließungsbeiträge nach alter Satzung nicht mehr rechtssicher abgerechnet werden konnten, beschloss der Gemeinderat den Neuerlass einer Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen. Dem lag die Mustersatzung des Bayerischen Gemeindetags zugrunde.
  • Die Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP) 2022 war der gewichtige Titel, über den Bauamtsleiter Christian Wolfert berichtete. Das LEP sei die Grundlage der baulichen Entwicklung in Bayern. Der Bayerische Gemeindetag sehe in seiner Stellungnahme die LEP-Änderung teilweise kritisch, weil sie deutliche Einschnitte für die Gemeinden enthalte. So solle der Grundsatz „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ in der Weise gelten, dass vor der Entwicklung von Flächen im Außenbereich ein umfänglicher Nachweis über die – erfolglose – Innenentwicklung geführt werden müsse. Der rechtliche Aufwand werde damit deutlich erhöht, der Nachweis sei schwer zu erbringen. Die gewünschte Verdichtung im Innenbereich schaffe Probleme mit Regenwasserbeseitigung oder Aufheizung. Tutzing habe gegengesteuert mit der Mindestgrundstücksgröße sowie der neuen Abstandsflächensatzung. Der Ausweis von Neubaugebieten sei nur bei vorhandener guter Infrastruktur möglich; dies sei häufig nicht gegeben. Die Ausführungen zur Nutzung von Trinkwasser gehörten nichts in das LEP. Tutzing nutze am Pfaffenberg Tiefengrundwasser, was nach dem LEP nicht erwünscht sei. Einstimmig wurde beschlossen, dass die Gemeinde Tutzing die Neuausrichtung des Landesentwicklungsprogramms an die künftigen Herausforderungen hinsichtlich des Klimawandels und der Verkehre begrüßt. Weiterhin schließt sich die Gemeinde der kritischen Stellungnahme des Bayerischen Gemeindetags an, insbesondere zu den Punkten 3.2 „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“, 7.2.2 „Dezentrale Wasseraufbereitung bei bestehenden Nutzungen“ und 7.2.3 „Wasserversorgung“. An diesem Punkt merkte ich an, dass die Gemeinde bei allen Äußerungen im LEP, die auch nur entfernt auf die Privatisierung der Wasserversorgung hindeuteten, energisch protestieren solle. Trinkwasser ist Daseinsvorsorge und muss in kommualer Hand bleiben! Auf Antrag der Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde der Beschluss dahingehend erweitert, dass der LEP unterstützen sollte, „dass der Zuzugsdruck in den Ballungsräumen, wie z. B. in der Metropolregion München, nicht zusätzlich angeheizt wird. Durch ein Fördern gleicher Lebensbedingungen in ganz Bayern würde eine entsprechende Entlastung der Gemeinden in den Metropolregionen geschaffen werden.“
  • Mit der kommunalen Zusammenarbeit im Bereich Informationstechnologie hatte sich bereits der Haupt-, Finanz- und Werkausschuss (HFWA) am 08.02.2022 befasst und einen positiven Empfehlungsbeschluss gefasst. Angesichts der Herausforderungen des digitalen Wandels sehen sich die Gemeinde Tutzing, die Stadt Starnberg und vier weitere Landkreisgemeinden nicht genügend gerüstet, um den Anforderungen zu begegnen, weil sie entweder keine eigenen IT-Abteilungen unterhalten oder keine ausreichend qualifierten Mitarbeiter haben und damit sehr auf externe Dienstleister angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund trug Geschäftsleiter Marcus Grätz die Idee vor, den IT-Betrieb der Stadt Starnberg und der teilnehmenden Gemeinden an einen externen kommunalen Dienstleister auszulagern. Einstimmig wurde beschlossen, die Verwaltung zu beauftragen mit der Stadt Starnberg und den Landkreisgemeinden ein Konzept zur Gründung eines entsprechenden Unternehmens zu erstellen. Dieses Unternehmen soll Leistungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien für kommunale Körperschaften erbringen, vornehmlich IT-Dienstleistungen und EDV-Betreuungen. Die Verwaltung wurde ermächtigt, die für die Konzepterstellung erforderlichen Beratungsleistungen zu vergeben. Zusätzlich wurde beschlossen, das Thema vorerst im HFWA zu behandeln. Insgesamt ein guter Vorschlag, weil es sonst nicht gelingen wird, qualifierte IT-Mitarbeiter zu rekrutieren.

Unter Mitteilungen und Anfragen, Verschiedenes

  • warb die Bürgermeisterin für die Tutzinger Lichterkette für den Frieden am Mittwoch, 09.03.2022, vor dem Rathaus. Bei der Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine gehe es um die Bündelung der Kräfte, erste Familien seien bereits eingetroffen. In diesem Zusammenhang erklärte die Bürgermeisterin, dass die Wohnungen des Verbands Wohnen in der Sudetendeutschen Straße und der Niederebersdorfer Straße nicht mehr bewohnbar seien und daher als Unterbringung für Flüchtlinge nicht infrage kämen.
  • Geschäftsleiter Marcus Grätz erklärte, die kommende Sitzung des HFWA falle aus. Der eine Punkt betreffe die Aufhebung des Sperrvermerks für die Beschaffung von 11 Parkscheinautomaten, für die im Gemeindehaushalt 55.0000 Euro vorgesehen sind. Einstimmig wurde der Sperrvermerk aufgehoben.
  • Die Brücke in der Kirchenstraße werde weiter untersucht. Nach der Freilegung des Tonnengewölbes sei nun ein Statiker beauftragt. Ggf. werde anschließend direkt saniert, so dass die Kirchenstraße an dieser Stelle vorerst gesperrt bliebe.
  • Weiterhin gab die Bürgermeisterin bekannt, dass die Regionalverkehr Oberbayern GmbH (RVO) eine sogenannte „Freizeitlinie“ zwischen Tutzing und Bernried einrichte, die an Wochenenden stündlich verkehre. Haltestellen sind u.a. am Buchheim Museum und an der Klinik Höhenried vorgesehen. Zu Ostern werde es Freifahrten geben. Interessanter Teilaspekt: Bernried gibt Gästekarten zur Benutzung des Busses aus und finanziert dies aus der Ortstaxe, nachdem diese Gemeinde über das Prädikat „Erholungort“ bereits verfügt.
  • Auf meine Frage nach dem Stand der Bearbeitung des Thema „Leitziele Tutzing 2030 und ISEK“ erklärte die Bürgermeisterin, die Verwaltung habe sich in Pöcking über das Vorgehen erkundigt. Vor der eigentlichen Ausschreibung, um das Büro für den Prozess zu finden, müsse eine Ausschreibung für das Ausschreibungsbüro erfolgen, also eine Ausschreibung vor der Ausschreibung. Der dreigliedrige Einleitungsbeschluss zu den Leitzielen Tutzing 2030 und ISEK wurde am 09.11.2021 gefasst. Im dritten Teil des Beschlusses heißt es: „Die Verwaltung beauftragt, unter Einbeziehung von Mitgliedern des Gemeinderats ein Leistungsbild für die Erarbeitung des ISEK zu erstellen und das Vergabeverfahren hierzu einzuleiten.“ Fazit: in vier Monaten ist fast nichts passiert.

Die Fotos sind freundlicherweise freigegeben von © Büscher-Architekten, München, sowie von der Bauwerberin.

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