Reden wir uns nicht raus: Am Aussterben der „Tante-Emma-Läden“, des „Milli-Ladens“ um die Ecke mit seiner großen Käseauswahl, des Schusters, des Schneiders, des großen „Gemischtwarenladens“ und des kleinen „Kaufhauses“ sind nicht „die Großen“ schuld. Ebenso wenig ist am Verschwinden unzähliger Wirtshäuser und wunderbarer Kneipen deren mangelnde Qualität und am Kinosterben ein schlechtes Filmangebot schuld. Schuld sind wir – ich und Sie.

Warum? Die Supermärkte kauften billiger ein und verkauften billiger. Die Discounter noch billiger. Also wurde „Geiz geil“ und wir setzten unseren Einzelhandel vor die Tür. Zum Fernsehen holten wir uns aus dem neuen Getränkemarkt das Bier gleich kistenweise und gingen nicht mehr ins Wirtshaus. Jene, denen wir die Schuld zuweisen – Aldi, Metro, Lidl, Saturn, Kik, Rossmann, Multiplex-Kinos usw., usw. – haben uns aber eigentlich doch nur einen Wunsch erfüllt: mehr für weniger. Wir alle wissen das, haben es mitverantwortet. Und da ist es doch egal, ob noch ein Drogeriemarkt nach Tutzing kommt. Oder zwei. Letztlich liefern die sich einen Preiskampf und versuchen sich gegenseitig zu ruinieren. Was geht das uns an? Wenn die Hauptstraße in Tutzing auch noch den letzten Einzelhändler verliert – was geht das uns an? Wir werden nicht verhungern…

Doch erinnern wir uns: Wo Handel und Wandel blühten, blühte seit dem Mittelalter auch „das bunte, heitere Leben“, der Wohlstand – und die Kultur. Märkte waren Anziehungs- und Treffpunkte, die Vielfalt der Einkaufsmöglichkeiten machte Dorf wie Stadt lebenswert. Vorbei? Haben Online-Händler und Discounter-Parkplätze diese Funktion übernommen? Wohl nicht. Warum sonst fotografieren Amerikaner und Japaner in München wie wild am Viktualienmarkt? Warum sind auf dem Land die Bauernmärkte noch immer – oder immer mehr? – gut besucht? Weil die Sehnsucht nach einem Miteinander plötzlich wieder größer wird? Der Wunsch, von Mensch zu Mensch gut beraten zu werden? Unser (!) Einkaufsverhalten bestimmt darüber, ob ein Ortszentrum lebendig ist, ob es Begegnungen fördert, Spaß macht – den Kunden und den Geschäftsleuten. Ja, das ist etwas teurer… doch damit bezahlen und bekommen wir mehr Lebensqualität. Noch haben wir in Tutzing schöne Geschäfte, noch ist Leerstand kein großes Problem. Es liegt an uns, ob wir diese Vielfalt erhalten. Nach dem Motto „Einkaufen beim Nachbarn“.

Nicht zuletzt können örtliche Einzelhändler Gewerbesteuerzahler sein, wenn sie entsprechend verdienen. Und Gewerbesteuer benötigt die Gemeinde Tutzing, um ihre Aufgaben zu erfüllen.

8 Replies to “Schuld sind wir!”

  1. Sehr geehrter Herr Dr. Behrens-Ramberg,
    bravo – diese Lektion sollten wir uns alle hinter die Ohren schreiben und darüber nachdenken, was uns wirklich wichtig ist. Die „Geiz ist geil“-Mentalität ist ein Irrweg und ein Orientierungswandel dringend erforderlich, man muss den Einzelhandel und auch die Bauern und Landwirte durch überlegtes Einkaufen unterstützen, denn die den Markt beherrschenden Konzerne forcieren Überproduktion und Überangebot, um größtmöglichen Gewinn für eine kleinstmögliche Zahl von Profiteuren zu erzielen, mit dem Ergebnis, dass der Müll von heute der Superlativ von gestern ist und die Steigerungsraten von heute den Müll von morgen produzieren, sodass der Begriff „Wegwerfgesellschaft“ geprägt wurde, ein schlimmes Wort, denke ich. Viel wird viel zu viel, in verschiedenen Bereichen, und wir sollten uns wieder darauf besinnen, dass weniger oft mehr ist. Ein lebendiger Ort, in dem man sich kennt und spontan trifft, beim Einkaufen, am Wochenmarkt oder in der Freizeit, hat einen hohen sozialen Wert und Charme, den weder Supermarkt, Discounter noch Online-Händler mit ihren Werbe-Aktionen und Rabatt-Angeboten erreichen können, eine Lebensqualität, die unbezahlbar aber zunehmend wichtiger für unser Wohlbefinden wird, wenn wir nicht irgendwann nur noch Nummern unter Big Brother-Verwaltung sein wollen, klassifiziert nach Wert und Verwertbarkeit. Übernehmen wir jetzt Verantwortung!

    1. Liebe Frau Lechner!
      Danke für Ihre regelmäßigen Kommentare. Also liest ausser mir doch noch jemand diese Seite 🙂 Ich hätte nie gedacht, dass sich eine Tutzinger Initiative so klar positioniert, wie es auf dieser Seite geschieht. Und darum habe ich unter http://www.csu-tutzing.de geschaut, was denn die „führenden Köpfe Tutzing“ da zu sagen haben. Sie werden es ahnen: NICHTS. Ein Claus Piesch wird als Verantwortlicher der csu-homepage genannt. Dem Zustand der Seite nach gibt es ihn nicht. Wenn Sie ihn kennen: Gruß von mir – er soll mal seiner Pflicht nachgehen.
      Helge Haaser

      1. Lieber Herr Haaser,
        Ihre Antwort freut und motiviert mich, dem „nichts“ nachzuspüren. Ich frage mich, wie man in diesem Fall „nichts“ interpretieren soll, als „dolce far niente“ oder „rien ne va plus“. Vielleicht flüstern die „führenden Köpfe“ sich auch zu, „Hund sans scho, die von der TL – da müass mer aufpassn, dass uns dös koa Stimmvieh beim nächsten Urnengang kost“ – aber eine Überraschung wäre es schon, wenn auch mal ein Mitglied einer anderen Fraktion einen Kommentar zu einem Thema wie diesem, das wirklich alle angeht, abgeben würde. Bleiben wir neugierig, interessiert und aufgeschlossen. Beste Grüße

      2. Der hier gefundene Hinweis auf die örtliche CSU dürfte nicht überraschen; deren innere Einstellung ist in Hochglanzform im Bayernkurier oder den täglichen Meldungen des amtierenden Generalsekretärs im Verbund mit dem Heimatminister zu lesen. Die lokalen Freien Wähler hingegen enthalten sich, von denen kommt gar nichts. Deren Einstellung zu den hier in der Tutzinger Liste aufgeworfenen Themen wäre nämlich viel interessanter als die CSU-Meinung. Oder gibt es diesen Klub, wie schon immer, nur anlässlich von Wahlen?
        Es dürfte doch für die Freien Wähler, der Name sagt es schon, ein Leichtes sein, ohne Maulkorb in Tutzing betreffende Themen einzusteigen. Mit deren Fair-Trade die Welt verändern zu wollen, ist zu kurz gedacht. Die „Großen Spieler“ wie transnationale Ketten lachen über derart homöopathische Spielchen nur.
        Der Kunde, sprich: Verbraucher, hat eine unglaubliche Macht. Er muss sich dieser Macht nur bewusst sein, bevor Handelsketten gewachsene, bewährte Strukturen mit Gewalt nachhaltig kaputtschlagen.
        HF

  2. Ein herrlich geschriebener Beitrag. Schon alleine deswegen, weil ein Mitglied des Gemeinderats sich in seinem Einkaufsverhalten outet. So manch ein Gemeinderat wird auch häufig in Weilheim auf dem Markt gesichtet – ist das dann vorwiegend Wettbewerbsbeobachtung?
    Immerhin gibt der Verfasser zu, sich die Hütte mit Bier vollzustellen; ist ja auch etwas. Was die anderen Gemeinderäte in ihren Domizilen treiben und welches Einkaufsverhalten sie an den Tag legen, ist noch nicht öffentlich. Wollen wir doch mal sehen, wie sich in Tutzing das Geschäftsmodell der Marke kik vor dem Hintergrund jüngster (aber längst bekannter) Skandale machen wird.
    Es ist richtig, der Viktualienmarkt ist ein Anziehungspunkt, der Magnet schlechthin. Kleiner Hinweis: Der Viktualienmarkt ist fest in piemontesischer und lombardischer Hand, warum wohl? Diese Besucher kaufen dort ein und laufen nicht nur irgendwelchen Fähnlein- und Selfiestockträgern hinterher. Etliche Anleihen können am Viktualienmarkt abgeholt werden, damit Tutzing noch attraktiver mit eigenem Markt auffallen kann. Der Gedanke, den eigenen Markt zum Anziehungs- und Treffpunkt zu machen, kann ja mit dem samstäglichen Markt ggü. dem Rathaus versucht werden. Man stelle sich mal vor, die großen Parteien Tutzings würden dort einen regelmäßigen Marktstand eröffnen und an Ort und Stelle Informationen ver- und ankaufen. Ganz frisch vom und am Markt. An der Stelle könnten dann auch Geschäftsmodelle für Tutzings Wirtschaft angeboten und nachgefragt werden. Aus dem Gemüsemarkt am Rathaus einen Kommunikationsmarkt zu machen, das wäre doch mal ein Leuchtturmprojekt, oder?
    HF

  3. Dementsprechend ist es nicht im Interesse der Bürger einen Netto-Discount (ja, das Gerücht hält sich hartnäckig und ist m. E. den Beteiligten durchaus zuzutrauen) nach Traubing zu holen.
    Wenn schon ein größerer Markt, dann doch bitte eine unternehmergeführte Variante – sprich ein selbstständige/-r Kaufmann/-frau, die als Unternehmer/-in von mir aus einer Einkaufsgemeinschaft beitritt. Vielleicht sogar regional?
    Geschäftsmodelle dazu gibt es genug.

    1. Lieber Thomas,
      Euer Dorf „über Tutzing“ hat Gott sei Dank noch seinen eigenen Charme. Der Zusammenhalt der Vereine ist prägend für das ganze öffentliche Leben. Der Staltmaiersche Laden ist ein wunderbares Relikt aus guter Zeit. Das letzte. Als ich hierher kam, gab es noch zwei Kramläden im Dorf – vorbei. Sie haben Recht: was kommt nach Staltmaier? Ihr Dorf hat vier Gemeinderäte ins Tutzinger Rathaus gewählt. Super! Nun sollen die doch bitte mal an die Arbeit gehen und sich um die Zukunft ihres Zuhause kümmern. Wie wär’s denn mit einer Bürgerversammlung zum Thema und dabei ein Fachmann, der nicht die Interessen von Discount-Ketten vertritt? Der Saal beim Guggemos wäre dafür sehr geeignet.
      Helge Haaser

    2. Interessanter Hinweis aus Traubing: Geschäftsmodelle. Auf Tutzing-City bezogen könnte es sein, dass im Verborgenen schlummernde Modelle einfach nur einmal deutlicher als bisher beworben werden. Beworben im Sinne von darüber sprechen.
      Hiesige Großmärkte haben wohlsortierte Spezialitäten-Abteilungen; trotzdem, seit einiger Zeit gibt es in der Hallberger Allee ein Meeresgetier-Geschäft. Damit das gut überleben kann, muss sich dessen Existenz herumsprechen. Nicht jeder Einmann/Einfrau-Laden hat Geld für i.d.R. Postwurfwegwerfsendungen, also muss eben jener Einmannbetrieb sich auf das Empfehlen verlassen.
      Hätten wir viele dieser kleinen Einzelunternehmer und wären wir bereit, deren Arbeit auch zu honorieren, sähe die leidige Diskussion um das Einzelhandelssterben und das Favorisieren alles abräumender Viert- und Fünftmärkte anders aus. Hat schon einmal jemand die Mittagstheke des Metzgers ggü. probiert? 1a-Innereien, gibt’s sonst nirgendwo in Tutzing!
      HF

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