„Demokratie braucht uns, wir brauchen sie“, so eine mehrfach vorgetragenen Aussage von Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Oberreuter, dem ehemaligen Direktor der Akademie für politische Bildung in Tutzing, bei seinem Vortrag am 22.01.2020 im Roncallihaus auf Einladung von Pfarrer Peter Brummer. Abgeleitet war diese Aussage von Ausführungen des Bundespräsidenten, der von der „Demokratie, die uns braucht“ gesprochen hatte.

Im ersten Teil seines ca. einstündigen Vortrags unter dem Titel „Umstrittene Demokratie“ vor rd. 80 interessierten Besuchern erinnerte Prof. Oberreuter zunächst an den Optimismus der 1980er und beginnenden 1990er Jahre: Die Wende erschien vielen als Ausgangspunkt für die allgemeine Verbreitung demokratischer Strukturen. Heute allerdings sieht er das demokratische System vielfältig belastet: eine rückwärtsgewandte Orientierung zahlreicher politischer Führer sei zu beobachten, eine weltweite Flut, Religion als exklusives Instrument der Politik zur Geltung zu bringen. Die Mullah-Diktatur im Iran zeige, dass unter Bezugnahme auf Gott Menschen unterdrückt würden. Die Menschen wollten aber keine exklusive Herrschaft über ihre Weltanschauung. Hier müsse es Wettbewerb der Systeme geben und zwar auf der Grundlage der Würde und der Freiheit des Individuums. Das war auch die Grundlage der Aufklärung und des Liberalismus gewesen. Diese Wertgrundlagen gelte es auch bei uns zu bewahren und zu verteidigen, denn eine Demokratie, die nicht wertgebunden sei, sei das Wort nicht wert.

Ganz aktuell stelle sich die Frage, wie man politisch miteinander umgehe, denn die aggressive Art in Teilen des öffentlichen Diskurses war so nicht erwartet worden. Tatsache sei, das teilweise kein Respekt gegenüber denen vorhanden sei, die uns vertreten. Darunter liege ein Nachlassen des Respekts des einen vor dem anderen. Enttäuscht formulierte Prof. Oberreuter seine Zweifel, ob mit 70 Jahren politischer Bildung etwas verändert werden konnte. Er beobachtet das vermehrte Bezweifeln und Bestreiten des demokratischen Systems, den schleichenden Verlust von Respekt und Toleranz. Daran müsste alle arbeiten, dass dieses Basis nicht schmaler wird.

Die Herausforderungen durch politische Bewegungen und die angestrebten Systemwandel um uns herum beschrieb er mit Blick auf einige europäische Länder. Er schätzt, dass es einen Anteil von ca. 10-15% Populisten in den europäischen Ländern gibt. Sie akzeptierten im Wesentlichen den Pluralismus und damit die Würde des Individuums nicht, weil sie ja die Wahrheit für sich beanspruchten. Absolutheitsansprüche passten jedoch nicht zur pluralistischen Demokratie, denn das Wesen des Pluralismus sei die freie Entfaltung des Individuums.

Abschließend erläuterte Prof. Oberreuter zahlreiche grafisch dargestellte Statistiken über das Wählerverhalten bei den letzten Bundestags- und Landtagswahlen.

Der Titel „Umstrittene Demokratie“, über den gesamten Vortrag hinweg deutlich sichtbar dargestellt, erinnerte an zwei Veranstaltungen beider Tutzinger Akademien, die sowohl das Ansehen der Finanzwelt durch staatlich sanktionierten Betrug als auch das weltpolitische Geschehen durch tiefste Religiosität zum Inhalt hatten. Die Cum-ex-Skandale und der daraus entstandene Vertrauensschaden für die Demokratie (Politik!) hätten durchaus unter dem von Prof. Oberreuter gewählten Titel mitbehandelt werden können. Der Hinweis auf das Wirken der Evangelikalen in USA kam zwar, hätte aber von seiner weltweiten Gefährlichkeit her viel deutlicher angesprochen werden können. Vermutlich hätte es den zeitlichen Rahmen gesprengt, darauf intensiver einzugehen.

Das gut besuchte Roncalli-Haus zeigt zudem zwei Aspekte: die Themenstellung führte vorwiegend das Publikum ins Haus, das sich schon sehr lange mit der Frage Demokratie beschäftigt. Jüngere Leute, die im Grunde genommen die funktionierende Demokratie verteidigen müssten, waren eindeutig in der Minderzahl. Gewiss eine Frage, die den Veranstalter berühren dürfte.

 

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