So lautete die Aussage auf Aufklebern, die auf einer Präsentationsfolie abgebildet waren. Einer Folie im Vortrag von Prof. Dr. Edgar Grande zum Thema „Zivilgesellschaft in Deutschland – Entwicklungen und Herausforderungen“.

In Tutzing gab es am vergangenen Wochenende, 14. – 16. Juni 2019, eine Tagung zum 70-jährigen Jubiläum des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing e.V. in Kooperation mit dem Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB). Thema: „Aufbrüche, Umbrüche, Ausblicke – Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland“. Als Tutzinger habe ich mir ausgewählte Vorträge und Diskussionsrunden angehört. Den Vortrag von Prof. Dr. Edgar Grande, Gründungsdirektor des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung am WZB, versuche ich nachstehend zusammenzufassen.

Ausgehend von der Definition des Begriffs Zivilgesellschaft, „Freiwillige Zusammenschlüsse der Bürger jenseits von Staat, Markt und Familie“ und der starken normativen Aufladung des Begriffs im Sinne einer engen Bindung an das Gemeinwohl stellte Prof. Grande fest, dass sich nach einer Untersuchung, dem Freiwilligen Survey von 2014, rd. 43% der Wohnbevölkerung über 14 Jahren sich freiwillig engagiert. Es gebe ein hohes Aktivitätsniveau bei gleichzeitiger Vielfalt des Engagements.

Die Entwicklung der Zivilgesellschaft lässt sich mit drei Begriffen beschreiben: So wird (1) festgestellt, dass die Aktivierung der Bürgerinnen und Bürger deutlich zugenommen hat. Gleichzeitig hat (2) ein Strukturwandel stattgefunden. Während Großorganisationen wie Volksparteien, Gewerkschaften, Verbände und Kirche Bedeutungs- und Mitgliederverlust registrieren, gibt es eine Zunahme freiwilligen Engagements bei Projekten wie z.B. die Flüchtlingshilfe. Dazu ist (3) eine zunehmende Politisierung zu verzeichnen, neue politische Spaltungen, neue strukturelle Konflikte wie „Integration versus Abgrenzung“ und „Öffnung versus Schließung“ von Grenzen, Märkten, sozialen Gemeinschaften. Konkrete Themenbereiche sind neue kulturelle Werte, Einwanderung und Europa. Bei der Politisierung der Zivilgesellschaft lassen sich vier Formen unterscheiden:

  1. Entstehenden neuer zivilgesellschaftlicher Vereinigungen mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen;
  2. Neue soziale Bewegungen „von rechts“ (z.B. Pegida)
  3. Politisierung bestehender zivilgesellschaftlicher Vereinigungen
  4. Mobilisierung gegen radikalen rechten Populismus

Hier besteht die Gefahr der Polarisierung, der Spaltung und der Instrumentalisierung der Zivilgesellschaft. Entsprechend steht die Zivilgesellschaft vor Herausforderungen:

  • Die Zivilgesellschaft muss inklusiver werden, die Integrationsbemühungen müssen verstärkt werden, um den Spaltungstendenzen zu begegnen.
  • Die Zivilgesellschaft muss sich an veränderten Handlungsrahmen anpassen. Angesichts zunehmender Regulierung ist ein schrumpfender Handlungsrahmen zu konstatieren; gleichzeitig gibt es eine Erweiterung des Handlungsrahmens durch Europa und International.
  • Im Strukturwandel der Zivilgesellschaft gilt es, die Beständigkeit zu sichern durch die Stärkung und nachhaltige Unterstützung von Vereinen und Initiativen.

Die Zivilgesellschaft, so das Zwischenfazit, steht vor großen Herausforderungen. Sie kann die Bedingungen für ihre Leistungsfähigkeit nicht schaffen und garantieren. Hier bedarf es der Unterstützung. Es besteht die Notwendigkeit einer gezielten Förderung nachhaltigen Engagements.

Dazu hat die Expertenkommission „Sicherheit im Wandel“, der Prof. Grande als stv. Leiter der Kommission angehört, folgende Empfehlungen zur Stärkung der Zivilgesellschaft aufgestellt:

  • Erlernen von bürgerschaftlichem Engagement in schulischen Projekten
  • Ausbau von Freiwilligendiensten für Jugendliche (auch ein Pflichtjahr wird diskutiert)
  • Förderung professioneller Strukturen in den Kommunen als Andockstationen ehrenamtlicher Tätigkeit
  • Nachhaltige Finanzierung bürgerschaftlicher Initiativen und Projekte (z.B. Engagementstiftung)
  • Bessere Verzahnung von Erwerbsarbeit und bürgerschaftlichem Engagement (z.B. bezahlter Engagementurlaub, Pro Bono-Aktivitäten von Unternehmen)
  • Neue Dialog- und Beteiligungsformate in den Kommunen

Auch angehört habe ich mir den Vortrag von Prof. Dr. Hans Vorländer, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaften an der TU Dresden. Dabei ging es um die Zivilgesellschaft in der Migrationsgesellschaft und die neuen Bürgerbewegungen in Deutschland. Die graswurzelartig entwickelte Flüchtlingsorganisation sei ein Beispiel, was die Zivilgesellschaft hervorbringen kann. Die engagierte Flüchtlingshelferin Julia Poweleit ergänzte als Mitgründerin des Flüchtlingshelferkreises Weilheim und berichtete von der fehlenden Legitimation als engagierte Helfer bis zur Akzeptanz in den Kommunen. Als Fazit erklärten beide Vortragenden, die diskursive Stimmung sei schlechter als die Lage, ein kontinuierliche Gegenhalten von unten bleibe erforderlich.

Anekdotisch-launig war das Gespräch zwischen Dr. Wolfgang Thierse, Leiter des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing und Udo Hahn, Akademiedirektor über den Politischen Protest und Zivilgesellschaft im deutschen Transformationsprozess.

Am Samstagabend schließlich gab es ein Wiedersehen mit dem Münchener Kabarettisten Christian Springer, der im Jahr 2016 mit dem Toleranzpreis  der Evangelischen Akademie Tutzing für seine „vorbildliche Initiative“ geehrt wurde, mit seinem Verein Orienthelfer e.V. den Opfern des Syrienkonflikts direkt in der Krisenregion, in Jordanien und im Libanon, zu helfen. Sein Thema: „Stell‘ dir vor, es herrscht Not und keiner geht ran“.

 

 

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