Kreisel versus Einmündung – ein Dauerthema, das lt. Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) am 6. März entschieden werden wird. Gleichwohl ist es nur ein kleiner Teil des großen Projekts der „Grundhaften Erneuerung und Umgestaltung der Ortsdurchfahrt Tutzing“. Nach meiner Beobachtung der teilweisen Unentschlossenheit der Besucher des Bürgerforums am 19.02.2018 und einiger meiner Ratskolleginnen und -kollegen möchte ich hier einen – zugegeben ausführlichen – Beitrag zur anstehenden Entscheidung leisten.
Ausgangslage: Es liegen fertige Vorplanungen für die beiden Alternativen Kreisel und Einmündung für den Verkehrsknotenpunkt an der Kreuzung von Hauptstraße, Bernrieder Straße und Lindemannstraße vor. Die Pläne können auf der Homepage der Gemeinde eingesehen werden. Zusätzlich sind sie ausgedruckt auf Stellwänden im Rathaus zu besichtigen. Dazu gab es zahlreiche Veröffentlichungen in der Presse und auch hier. Damit der Planungsprozess in Richtung Ausführungsplanung und nachfolgend Ausschreibung fortgesetzt werden kann, insbesondere die Spartenträger in diesem Punkt Planungssicherheit bekommen, soll zwischen beiden Alternativen für die Gestaltung des Knotenpunkts entschieden werden.
Beurteilung: Bis jetzt wurde vielfach vorgetragen, dass es sich bei Kreisel und Einmündung um gleichwertige Alternativen für den genannten Verkehrsknotenpunkt handelt. Das ist nicht der Fall!
Ein kleiner Kreisel ist (neben einer Lichtsignalanlage) die einzige vollauf geeignete Knotenpunktlösung für den südlichen Ortseingang in Tutzing.
Dies ist keine Behauptung, sondern das ergibt sich aus den „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 06, Ausgabe 2006, Punkt 5.3 (Knotenpunktarten, ab Seite 54).
Das Straßenbaumamt hat bisher wohl lediglich die technische Leistungsfähigkeit des Knotens beurteilt (KFZ/Stunde), nicht aber eine (auch sicherheitstechnische!) Gesamtabwägung wie nach RASt 06 gefordert, erstellt.
Aus der Übersicht über die Eignung von Knotenpunktarten (S. 55) geht für Hauptverkehrsstraßen mit zwei durchgehenden Fahrstreifen hervor:
- Einmündungen mit vorfahrtregelnden Verkehrszeichen: BEDINGT GEEIGNET (O)
- Kleiner Kreisverkehr: GEEIGNET (+)
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich die Einmündung nur dann eignet, wenn es sich um Straßen unterschiedlichen Rangs handelt. Das ist hier nicht gegeben, es sind Staatsstraßen.
Ergänzend und im Detail (S. 54, rechte Spalte):
„Einmündungen oder Kreuzungen mit Vorfahrt regelnden Verkehrszeichen sind in der Regel (nur dann) geeignet, wenn
- es sich um Straßen unterschiedlichen Rangs handelt (hier NICHT ZUTREFFEND),
- die Verkehrsstärken der Straßen sich deutlich unterscheiden, (hier NICHT ZUTREFFEND),
- Radfahrer im Zuge von Fahrradstraßen bevorrechtigt werden sollen (hier NICHT ZUTREFFEND)
Weiter heißt es dort:
„Einmündungen oder Kreuzungen mit Vorfahrt regelnden Verkehrszeichen sind aus Verkehrssicherheitsgründen NICHT GEEIGNET, wenn
- bei zu hoher Verkehrsstärke der bevorrechtigten Straße die wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer zu kurze Zeitlücken nutzen (hier leider zutreffend)
- zu erwarten ist, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit von mehr als 15 % der frei fahrenden Fahrzeuge überschritten wird. (gibt es hierzu aktuelle Messungen?)“
Weiter auf S. 56, linke Spalte:
„Kleine Kreisverkehre können städtebaulich geeignet sein
- … an Ortseinfahrten
- zur Verbindung gleichrangiger Straßenräume
- zur Orientierung im Stadtraum“
„Kleine Kreisverkehre mit einstreifig befahrbarer Kreisfahrbahn und einstreifigen Zu- und Ausfahrten mit Außendurchmesser von 26 m bis 40 m und Kapazitäten von 1500 Kfz/h sind BESONDERS GEEIGNET
- zur Erhöhung der Verkehrssicherheit (aller Verkehrsteilnehmer!)
- zur Reduzierung der Geschwindigkeiten“
Dies belegt, dass es sich bei Einmündung oder Kreisel keineswegs um zwei fachlich gleichrangige Lösungen handelt. Vielmehr ist laut der gültigen Richtlinie RASt 06 hier von der Fachbehörde, dem Straßenbauamt, eindeutig ein kleiner Kreisverkehr zu planen und keine Einmündung mit einer teueren Lichtsignalanlage (LSA), die wohl keiner will. Alles andere wäre ein Verstoß gegen diese einschlägige Richtlinie! Die Gemeinde ist entsprechend eindeutig zu beraten. Dass der Verkehrsplaner hier neutral beide Alternativen vorstellt, entspricht seiner Situation als Auftragnehmer sowohl des Straßenbauamts als auch der Gemeinde.
Alle Fußgänger und alle schiebenden Radfahrer müssen bei einem Kreisverkehr immer nur Äste mit langsam an- oder einfahrenden Kfz queren (ca. 20 – 30 km/h). Bei einer Einmündung läge die Geschwindigkeit auf 2 von 3 Armen hingegen bei 50 km/h und erfahrungsgemäß leider oft darüber. Die einzig noch sicherere Variante für Fußgänger und Radler wäre ein Knoten mit LSA aber keinesfalls eine Einmündung mit Vorfahrt regelnden Verkehrszeichen wie bisher als Alternative geplant.
Mögliche Mehrkosten eines Kreisels, wenn sie denn überhaupt entstehen gegenüber der Einmündungslösung mit Ampeln, sind daher in jedem Fall vom Baulastträger aufzubringen. Auf den ersten Blick billiger mag die Einmündung erscheinen, aber schon bei nur einem Unfall mit bleibendem Personenschaden ist die Einmündung bereits nicht mehr wirtschaftlicher. Und der ist bei einer mit Tempo 50 durchfahrenen Einmündung wesentlich wahrscheinlicher als bei einem Kreisel, u.a. daher die entsprechende Bewertung der Knotenpunktarten in der RAST 06. Der Längsverkehr ist einfach schneller.
Der Hinweis an die Gemeinde, doch beim Innenministerium um Zuschüsse zu bitten, ist nur eine Rückfallposition, die auch aufgebaut werden muss. Fachlich richtig ist allerdings nur eine klare Kostenübernahmeerklärung durch das Staatliche Bauamt auf Grundlage der geltenden Richtlinien.
Nach dieser Ableitung aus den Richtlinien, die auf Eberhard Möller, engagierter Bürger in Tutzing, zurückgeht, muss es heißen: „Vorteil Kreisel“.
Die Eigenschaften des Kreisels lassen sich, strukturiert nach Kriterien, wie folgt beschreiben und implizit der Einmündung gegenüberstellen:
- Leistungsfähigkeit: höhere Verkehrsleistung, d.h. die Anzahl der passierenden Fahrzeuge pro Stunde, kein Linksabbieger, keine Gelbphase einer Ampel, die bei einer Einmündung sicher erforderlich wäre.
Nachweis über Simulationssoftware KNOSIMO, dass der Kreisverkehr den motorisierten Individualverkehr deutlich flüssiger abwickeln kann als der bestehende Knoten ohne LSA (Kriterium mittlere Wartezeit) – Quelle: Gemeinde Tutzing, Vorplanung Hauptstraße Süd, 03/2010, Ingenieurbüro Osterrieder-Sobotta-Schmidtbauer, Seite 23) - Verkehrssicherheit: Kreisel als wirksame Geschwindigkeitsbremse, hohe Verkehrssicherheit für Fußgänger beim Überqueren diese Knotenpunkts, in Tutzing konkret die zahlreichen Schüler auf ihrem Weg von und zu den Sportstätten. Kreisel weist hinsichtlich der Wegungen die geringere Komplexität aus, wie aus dem Vergleich der Beschreibungen durch den Verkehrsplaner abzulesen ist.
Wesentlicher Vorteil des Kreisverkehrs sind die geringeren Geschwindigkeiten. „Das geringe Geschwindigkeitsniveau sowie die geringeren Geschwindigkeitsdifferenzen zwischen den Verkehrsteilnehmern reduzieren die Unfallschwere. An Kreisverkehren wird langsamer gefahren als an anderen Knotenpunkten… Kreisverkehre haben auch auf die davor- und dahinterliegenden Streckenabschnitte eine geschwindigkeitsdämpfende Wirkung.“ – Quelle: Merkblatt für die Anlage von Kreisverkehren der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswerden 2006, Punkt 1.4.1 Verkehrssicherheit. „Fußgänger und Radfahrer profitieren von den geringen Geschwindigkeiten des Kraftfahrzeugverkehrs, vom dadurch bedingten kooperativen Verkehrsverhalten, von den vergleichsweise einfachen und übersichtlichen Verkehrsverhältnissen sowie von den kurzen Überquerungswegen.“, ebenda.
In der Unfallstatistik schneidet – bei gleichem Verkehrsdurchfluss – der Kreisverkehr signifikant besser ab als eine Kreuzung bzw. Einmündungslösung. Unfallforschung der Versicherer (UDV): „Kompakte einstreifige Kreisverkehrs gelten innerorts als sehr sichere Knotenpunktarten. Dies wurde in zahlreichen in- und ausländischen Forschungen nachgewiesen.“ – Quelle: Unfallforschung kommunal, Nr. 28, Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. - Verkehrsqualität für alle Verkehrsteilnehmer, geringe Komplexität, hohe Akzeptanz in der Bevölkerung, hohe Wirtschaftlichkeit (keine Wartung von Ampeln)
- Städtebaulich: Bei entsprechender Gestaltung und Begrünung entsteht eine Portalwirkung des Kreisels „Hier beginnt Tutzing“, eine freundliche Visitenkarte am südlichen Ortseingang
- Ökologisch: weniger Halten und Anfahren, also geringere Emissionen
- Kosten – zuletzt: Das Straßenbauamt muss wie oben gezeigt, die (Mehr-) Kosten für die geeignete Lösung tragen. Absicherung durch mögliche Förderung durch das Bay. Innenministerium. Im Vergleich ist der Kreisel nicht teurer, wenn man bei der Einmündung die drei Ampeln zu insgesamt ca. 150.000 Euro hinzunimmt. Sollte am Ende wider Erwarten ein Kostenbetrag für die Gemeinde übrig bleiben, der nicht über Zuschüsse des Bayerischen Innenministeriums gedeckt werden kann, sollte es Tutzing um der besseren Lösung wert sein. Der Betrag kann gedanklich über 50 Jahre oder auf 10.000 Einwohner verteilt werden.
Kurzfassung: Bei der Einmündung werden eher die Kraftfahrer bedacht, beim Kreisel eher die Anwohner, sowie die Radfahrer und Fußgänger.
Anmerkung: Im Jahr 2004 gab es ein Städtebaulich Integriertes Verkehrskonzept. Der auftragsbegleitende Arbeitskreis hat zur Bearbeitung dieses Konzepts folgende für die Hauptstraße relevanten Ziele formuliert:
- Der motorisierte Individualverkehr soll in der Hauptstraße flüssig, stetig und langsam abgewickelt werden.
- Die Sicherheit des Radverkehrs ist zu verbessern
- Die Qualität und Sicherheit des fußläufigen Verkehrs ist zu verbessern.
Der Gemeinderat hat diese Ziele 2004 einstimmig beschlossen (Vorplanung Hauptstraße Süd, siehe oben, S. 18). Der Kreisverkehr war übrigens Maßnahme Nr. 42 des Konzepts.
Heute, 15 Jahre später, gehen wir darüber hinaus und verlangen Verkehrssicherheit und Gleichberechtigung für alle Verkehrsteilnehmer, Kraftfahrer, Radfahrer und Fußgänger. Die wird mit einem Kreisel erreicht. „Sehen und Gesehen werden“ mit Rücksichtnahme auf die jeweils anderen Verkehrteilnehmer.
Jüngere Pressemeldungen vermitteln ein seltsames Bild zur Entscheidungslage.
Drei Gemeinderätinnen schwanken mit und ihren Gefühlen, sind daher zu keiner klaren Fragestellung in der Lage. Ein Gemeinderat verwechselt wie so häufig Inhalt mit Methode. Er müsste doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass noch einzuholende Informationen den Gang der Ding zwar zeitlich belasten, aber vom Inhalt her erheblich die Unsicherheit bei den Kollegen klären. Der von einem Methode und Sache sauber auseinanderhaltenden Gemeinderat gemachte Vorschlag, zur Not sich halt erneut auf eine Expertise abzustützen, findet wenig Zuspruch von aus der Hüfte schießenden Gemeinderäten und ewigen Zauderern. Gerade diesen beide Haltungen dürften durch externe und damit neutrale Fachleute erheblich beeinflusst werden können.
Es liegen doch mittlerweile genügend Erkenntnisse und Empfehlungen vor, warum folgt man nicht dem schon mehrfach vom Grünen Rat genannten Anspruch, sich erneut umfassend abzusichern?
Hier wird eindeutig eine Entscheidung unter etwas Unsicherheit getroffen werden müssen. Lägen alle Berechenbarkeiten vor, wäre es keine Entscheidung; es wäre eine Berechnung, die auch ohne Gemeinderat getroffen werden könnte.
Zu Verkleinerung der Unsicherheiten (ganz bekommt man die nie weg) wäre ein Schritt damit getan, sehr präzise die Fakten von Annahmen zu trennen, erst recht von Gefühlen. Seien diese im Bauch oder anderswo. Der Gemeinderat gibt mit der Behandlung der Angelegenheit kein gutes Bild ab.
HF
Schlüssige Darstellung! Wieder mal viel Fleiß unter Beweis gestellt und – auch mir – eine stichhaltige Meinungsbildung ermöglicht, vorbildliche Gemeinderatstätigkeit!
Super. Besser kann man es wohl nicht erklären. Doch verblüffend: das alles scheinen nur Herr Möller und Herr Dr. Behrens-Ramberg zu wissen. Warum nicht die Straßenbaubehörde? Was oder wer hindert diese, „rechtens“ zu planen und zu bauen? Warum gibt es keine „öffentliche Meinung“ (Presse) dazu?
Ist dieser Beitrag auch an die Presse gegangen?
Helge Haaser, Passau