Drei Worte nur und schon ist wieder Skepsis angesagt: Wer wollte nicht alles schon den Tutzingern eine „neue Strategie“ anbieten! Da gab es mal die Hauptstraßen-Strategie von Florian Listl: Einbahn Richtung Nord zwischen Bahnhof- und Oskar-Schüler-Straße, Gegeneinbahn Richtung Süd von Oskar-Schüler- über Kirchen- und Bahnhofstraße. Es gab eine Verkehrsberuhigungs-Strategie mit der Idee „alle Gemeindestraßen 30 km/h, nur Staatsstraßen mit 50 km/h“. Der 2008 gewählte Bürgermeister Stephan Wanner wollte das bundesweit gelobte „Bürgerkonzept Weyarn“ in Tutzing strategisch umsetzen und über Bürgerforen mehr Mitbestimmung der Bürger einfordern. Die Freien Wähler forderten vor vielen Jahren im Rahmen einer „Seehof-Strategie“ ein Boutique-Hotel an der Leidlstraße – usw. usw. Alles Strategien für ein „bessere Tutzing“, die genüsslich missverstanden, zerredet, in eine Schublade geschoben und nie ausgeführt wurden. Weil, wie ein alter Tutzinger, einst selbst Gemeinderat, sagte: „Seit Karl Bleichers Abschied 1958 als Bürgermeister legte sich eine Art Mehltau über Tutzing“. Natürlich gab es erzwungene Fortschritte auf vielen Gebieten, aber „Strategien für Tutzing“ verschwanden unter dem „Mehltau“.
Jetzt treten drei Tutzinger Einzelhändler, ein Immobilien-Makler und eine Hoteliersfamilie in den Ring und fordern – natürlich – eine neue Strategie für Tutzing. Alle sind Vorstandsmitglieder der Arbeitsgemeinschaft Tutzinger Gewerbetreibender (ATG), die in den 1970er Jahren gegründet wurde, seither den Adventsmarkt veranstaltet, 1982 die „Tutzinger Nachrichten“ als Monatsmagazin startete, aber seit Jahren nicht mehr „auffiel“. Jetzt also deren Strategie-Aufruf, den Sie hier 12.06.2018 nachlesen können.
Zentraler Punkt – neben einigen hübschen Marketing-Ideen – ist jedoch keine „Strategie für Tutzing“, sondern ein verzweifeltes Plädoyer für den Erhalt möglichst vieler Parkplätze an der Hauptstraße.
Da sollten wir alle genau hinhören – das gilt auch und besonders für die Gemeindeverwaltung und die Gemeinderäte! Ja, die Hauptstraße soll nach den vorliegenden Planungen „wohnlich“ werden. Doch was nützt das, wenn die Hauptstraßen-Geschäfte nach der Sanierung nicht mehr existieren? Aufgegeben, weg. Leerstand. Die ATGler haben Recht: Tutzings rasch alternde Bevölkerung kämpft mit Auto gegen die geologischen Herausforderungen unseres Ortes. Sie alle werden ihre Einkäufe dort machen, wo es Parkplätze gibt. Also bei jenen „Geschäften“, die ihre Gewerbesteuer nicht in Tutzing zahlen: Aldi, Edeka, Lidl, Rossmann, dm…, die alle dank großzügiger Parkmöglichkeiten das Ende des örtlichen Einzelhandels in unserer Ortsmitte beschleunigen. Ein innerörtlicher Busverkehr, wie in Ansätzen geplant und hilfsweise von der Ambulanten Krankenpflege realisiert, würde das Bild natürlich verändern.
Sehr alte Tutzinger erinnern sich noch heute an Zeiten, wo es fünf Milch-Läden, sieben Kolonialwarengeschäfte, fünf Metzger und vieles mehr gab, was heute längst vergessen ist. Als Aldi nach Unterzeismering kam, gaben in kurzer Zeit sieben beliebte Läden rundherum auf. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Aber es klingt schon brutal, wenn ein Gemeinderat der „Heimatfraktion“ bei der Beratung über die Ansiedlung eines zweiten Drogeriemarktes cool sagt „Konkurrenz belebt das Geschäft“. Solche ahnungslosen „Strategen“ zerstören örtliche Strukturen.
Wir alle sollten die „kleine“ Strategie der Geschäftsleute in der Hauptstraße unterstützen: Macht die Hauptstraße bei Tempo 30 ruhiger, schafft – wo es geht – Ruhe-Inseln, schafft aber auch – wo nur irgend möglich – viele Kurzparkplätze für die Kunden.