Ein lohnenswerter Ausflug nach München war das am 11. März 2019, der Vortrag von Peter Knüspert, Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes und des Oberlandesgerichts München, zum Thema „Was uns zusammenhält – Über die Rolle der Verfassung in der pluralen Gesellschaft“.

Ausgehend von einer beobachteten Abnahme der Bindung an traditionsreiche Institutionen wie z.B. die Justiz, aber auch Parteien und die Kirchen, stellte Peter Knüspert die Frage, was eigentlich heute noch das Verbindende und das Verbindliche in unserer Gesellschaft und Bürgergemeinschaft sei. Er folgerte zunächst, dass die rechtliche Grundordnung unserer Gesellschaft, also die Verfassung, eine immer größere Bedeutung erhält, wenn die Bedeutung von traditionellen Institutionen abnimmt. Eine Verfassung könne das Band sein, das eine „gemeinschaftgebundene Identität“ von Bürgern eines Staates begründe oder erhalte und damit eine Grundordnung für das Zusammenleben im Staatsverband bilde.

In der ideellen Dimension einer Verfassung gehörten fundamentale Werte und Orientierung wie Freiheit, Gleichheit aller Menschen, Toleranz gegenüber anderen Überzeugungen und Meinungen, Achtung der Menschenwürde oder Gewaltlosigkeit. In der normativen Dimension gebe eine Verfassung nicht nur gesellschaftliche Orientierung sondern formuliere auch ordnende Strukturen und verbindliche Regeln für Staat und Gesellschaft.

Für die Darstellung der tragenden Säulen der Bayerischen Verfassung wählte der Referent fünf Elemente aus:

  1. Geschichtlicher Kontext der Entstehung der Bayerischen Verfassung vor dem Hintergrund des „Trümmerfelds“ des in Deutschland bis 1945 begangenen Unrechts;
  2. Rechtsstaatsprinzip mit den Ausprägungen Gewaltenteilung und dem Gewaltmonopol des Staates; dies insbesondere vor dem Hintergrund der Vorgänge in den USA, Polen, Ungarn und Rumänien, wo ein Teil der Politik ein Abbau unverzichtbarer demokratischer Grundprinzipen wie eben der Gewaltenteilung sei. Es zähle im Konfliktfall eben nicht das Recht des körperlich oder wirtschaftlich oder politische Stärkeren sondern unabhängige Gerichte entschieden nach Recht und Gesetz.
  3. Menschenwürde/Grundrechte – Die gemeinsame Verpflichtung auf die Menschenwürde, wortgleich im Grundgesetz, sei Ausdruck des Selbstwerts des Einzelnen, des Individuums, nicht abstrakter Gruppen. Terror stelle die Menschenwürde in Frage, es gehe dabei nicht um den Angriff auf eine Person, sondern um einen Angriff auf die Grundwerte der Gemeinschaft. Dabei stehe Menschenwürde jedem Menschen zu, auch jedem mutmaßlichen der tatsächlichen Straftäter. Übrigens, darauf wies der Referent hin, formuliere die Bayerische Verfassung nicht nur Grundrechte sondern auch Grundpflichten, u.a. die Treuepflicht gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen zu erfüllen.
  4. Rückbindung der Politik an das Volk durch plebiszitäre Elemente – Während die Ordnung des Grundgesetzes strikt repräsentativ ausgestaltet sei und keine unmittelbare Beteiligung des Volkes an der politischen Willensbildung im Bund kenne, enthalte die Bayerische Verfassung neben der Parlamentsgesetzgebung auch eine Volksgesetzgebung durch Volksentscheid (Beispiel Nichtraucherschutz). Das große Mobilisierungspotential in solchen plebiszitären Elemente habe sich jüngst beim Volksbegehren gegen das Artensterben gezeigt.
  5. Umfassende Integration und Partizipation – Die Bayerische Verfassung sei in ihrer freiheitlichen Ausrichtung schon strukturell auf die Integration aller Bevölkerungsteile angelegt und grenze Andersdenkende nicht aus sondern ermögliche ihnen jede Form der Partizipation. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und die Möglichkeiten der Volksbeteiligung schützten gerade die Unzufriedenen und die Enttäuschten und gewährten ihnen Rechte, auf Veränderungen hinzuarbeiten. Gerade sie profitierten von der freiheitlichen Konzeption unserer Grundordnung.

Ausdrücklich nicht thematisiert wurden weitere Elemente der Verfassung wie Demokratieprinzip, Sozialstaatsprinzip oder auch die Eigenstaatlichkeit Bayerns, eingebunden im Bund und in Europa, die ebenfalls große integrierende Kraft besäßen.

Im letzten Teil der Kanzelrede wurde es dann ganz konkret für den Zuhörer: Was können wir selbst tun, um der Verfassung als verbindendes Element Geltung zu verschaffen? Dazu gab es zwei Appelle: (1) Gegnern unserer Verfassungs- und Rechtsordnung selbstbewusst entgegentreten und keinen Zweifel an unserem unbedingten Willen lassen, die Demokratie zu verteidigen; dazu gehöre immer wieder auch öffentlich zu sagen, welchen konkreten Nutzen für den Einzelnen und die Gesellschaft Demokratie und Rechtsstaat böten.  Verfassungsfeinde habe es immer gegeben, sie dürften aber nicht die Deutungshoheit über die Verfassung gewinnen. Und (2) beim Zusammenleben und auch beim Streit müsse ein bestimmter Grundkonsens gewahrt bleiben, u.a. die Achtung der Menschenwürde und die Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln. Eigentlich reiche es, sich auf die bewährten Tugenden und Ideale zu besinnen, die sich seit der Antike bewährt haben: Offenheit und Aufrichtigkeit, Milde, Höflichkeit und Demut.

Viel besser als meine Zusammenfassung können Sie die Kanzelrede von Peter Knüspert hier im Original nachlesen.

 

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert