Bürger und Mitglieder des Gemeinderats diskutierten auf vorOrt.news unter anderem die wichtige die Frage der Befangenheit von Gemeinderäten. Wir haben die beiden aktuellsten Tutzinger Fälle (Namensgebung von Bushaltestellen vs. Bürgersolarpark) beleuchtet und unangemessene Unterschiede festgesellt.

Befangenheit bei Änderung Namen Bushaltestelle in „Villa-Knittl“ 

So galt Ratsmitglied Stefanie Knittl als befangen, als der Ortsverband der SPD, dessen Vorstand sie ist, beantragte, im Rahmen der Hauptstraßensanierung einige Namen der insgesamt 28 Bushaltestellen der Linien 958 und 978 nach deren ortsgeschichtlichem Hintergrund umzubenennen – weil sie selbst an einer der Bushaltestellen wohnt. Diese wäre in ihrem angeführten Beispiel von der „Mühlfelderstraße“ zur „Knittl-Villa“ geworden, dem Stammhaus der Baufirma ihrer Familie mit dem Baumeister Xaver Knittl. Sie wird erst in der öffentlichen Sitzung von der Bürgermeisterin auf ihre Befangenheit hingewiesen (sie sei persönlich beteiligt) und darf als Referentin für Ortsgeschichte und Denkmalschutz den Ratsmitgliedern auch nicht den SPD-Antrag vorlesen. Geschweige denn, ihn in einer Rede erläutern und über ihn mit abstimmen. Die Presse berichtet über diesen Fall (siehe Merkur unten).

Keine Befangenheit bei Aufstellungsbeschluss für Bürgersolarpark 

Ratsmitglied Bernd Pfitzner dagegen soll nach Auffassung der Gemeindeverwaltung nicht befangen sein, wenn er die Meinungs- und Willensbildung im Gemeinderat beeinflusst, indem er als Referent für Umwelt und Energie eine Rede hält, in der er für die Energie-Genossenschaft Fünfseenland eG (EGF) als richtigen Partner für das „Bürgersolarkraftwerk Am Oberen Hirschberg“ argumentiert. Dies obwohl er in Teilzeit für die EGF arbeitet und dort zuständig für Photovoltaik und Mieterstrom ist. Weder die Bürgermeisterin (als Sitzungsleiterin wie bei Knittl vor Beginn des Tagesordnungspunktes) noch Pfitzner selbst (vor Beginn seiner Rede) informieren den Gemeinderat in den relevanten Sitzungen (2. Mai und 13. Juni 2023) darüber, dass Pfitzner dieses Teilzeitbeschäftigungsverhältnis mit der EGF hat. Dieses legt Pfitzner erst später in einer Ausschusssitzung am 27. September 2023 bei seiner Präsentation zu PV-Anlagen auf Gemeindedächern offen.

Das Transparenzprinzip muss für alle Fälle gleich gelten!

Ein „Bürgersolarkraftwerk“ für Tutzing ist natürlich eine sehr gute und wichtige Sache. Wir schicken also voraus: In diesem Beitrag geht es allein um die Einhaltung von Transparenzprinzipien im Rathaus, die in jedem Fall anzuwenden sind. Der Betrieb einer Freiflächen-Photovoltaikanlage ist immerhin auch ein wirtschaftliches Vorhaben, an dem nicht nur Bürger verdienen werden. Und wie überall können Geldflüsse auch bei diesem Vorhaben Begehrlichkeiten wecken, weshalb auch hier eine gute Kontrolle der Prozesse notwendig ist. Schauen wir uns die Vorschriften dazu an.

Wann ist ein Gemeinderatsmitglied befangen?

Befangenheit liegt vor, wenn sich ein Gemeinderatsmitglied möglicherweise bei seiner Rede und Abstimmung im Gemeinderat von privaten Motiven beeinflussen lassen könnte. Das ist gemäß Art. 49 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Gemiendeordnung der Fall, wenn der Beschluss ihm selbst, einem Angehörigen oder einer von ihm vertretenen natürlichen oder juristischen Person (hier die EGF) oder sonstigen Vereinigung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann.

Für Knittl galt eine sehr strikte Auslegung dieser Vorschrift. So musste sie sich in öffentlicher Sitzung die Feststellung gefallen lassen, sie sei persönlich beteiligt, also habe eine private Motivation bei der Änderung der Namen der Bushaltestellen, weil auch „ihre eigene“ dabei war.

Ratsmitglied Pfitzner arbeitet in Teilzeit bei der EGF und ist dort zuständig für Photovoltaik und Mieterstrom. Als dort wirtschaftlich motivierte und organisatorisch eingegliederte Privatperson muss er also im Interesse der EGF handeln. Als Ratsmitglied muss er aber im Interesse der Gemeinde handeln. Das ist also ein ganz klassischer Interessenkonflikt. Weil er in seiner Funktion als Gemeinderat bei Prüfung aller Faktoren zu einem Ergebnis kommen könnte, das mit den Interessen der EGF nicht übereinstimmt, befände er sich dann in einem Dilemma. Deshalb ist Pfitzner für uns bei diesem Projekt als Gemeinderatsmitglied klar befangen. Nach unserer Meinung erfüllt Pfitzner also die Vorschrift zur Befangenheit nach der Bayerischen Gemeindeordnung.

Was darf ein Ratsmitglied bei Befangenheit nicht tun? Und was sagt Bernd Pfitzner dazu?

Ein befangenes Gemeinderatsmitglied darf sich weder an der Beratung noch an der Abstimmung über das Thema beteiligen. In Tutzing ist es üblich, dass befangeme Ratsmitglieder ihren Stuhl vom Besprechungstisch zurückrücken und der Beratung dann schweigend folgen.

Unsere Schatzmeisterin hat unsere Auffassung in dem Kommentar auf vorOrt.news einfließen lassen, dass Pfitzner bei den Beratungen und den bisherigen Beschlussfassungen im Gemeinderat in diesem Fall sein Rede- und Stimmrecht nicht hätte wahrnehmen dürfen. Pfitzner selbst antwortet auf vorOrt.news dazu wie folgt: „Ich habe die Verwaltung vor besagter Gemeinderatssitzung darüber informiert, dass ich in Teilzeit bei der Energiegenossenschaft arbeite und nachgefragt, ob ich zu diesem Punkt abstimmen darf. Die Gemeinde hat das juristisch prüfen lassen und mir mitgeteilt, dass ich nicht befangen bin, da die Energiegenossenschaft nicht Eigentümerin des Grundstücks ist, auf der die Anlage erbaut werden soll. Welche privatrechtlichen Verträge der Eigentümer geschlossen hat, ist für die Entscheidung des Gemeinderates zur Aufstellung des Bebauungsplanes nicht relevant.“

Wir meinen, hier wird entweder ein juristisches Argument vorgeschoben oder es wurde leider ein Fehler gemacht. Denn der Gemeinderat war bei Beschlussfassung nicht darüber informiert, wer der Bauwerber ist. Ein Verweis auf eine Bauvoranfrage, wie sonst üblich, fehlte nämlich. Richtig ist zwar, dass die EGF nicht Eigentümerin des Grundstücks ist. Grundstückseigentümer ist Franz von l’Estoque. Aber dieser wird den Solarpark auch nicht bauen. Er wird dafür sein Grundstück an die Tutzinger PV-Projektgesellschaft der EGF wohl verpachten (oder – weniger wahrscheinlich –  verkaufen). Den Solarpark wird also die EGF bauen – durch ihre Tutzinger PV-Projektgesellschaft.

Freiwillige Erklärung von Befangenheit im „Türmchen-Fall“

Dass es aber auch ohne juristische Prüfungen einfach aufgrund eingenem Bemühens um größtmögliche Transparenz gehen kann, zeigt ein anderes Beispiel. Als im Gemeinderat über den Bau einer Dachgaube beraten werden sollte (Bauvorhaben „Türmchen“), erhob sich Ratsmitglied Dr. Thomas von Mitschke-Collande von sich aus und erklärte selbst, vor dem Beginn mit dem relevanten Tagesordnungspunkt, er sei durch ein Verwandtschaftsverhältnis befangen. Dann stand er vom Tisch auf und setzte sich in den Zuschauerraum. Er enthielt sich seines Rede- und Stimmrechts im Gemeinderat, weil seine Schwägerin eine Dachgaube bauen wollte. Eine kontroverse Diskussion im Gemeinderat nahm ihren freien Lauf.

Warum wurde der Aufstellung des Bebauungsplans gefordert?

Pfitzner dagegen hält im Gemeinderat also eine Rede dazu, warum die EGF der geeignete Partner für das unternehmerische 20 Millionen Bauvorhaben (Stand Beschlussfassung) sei und spricht sich dafür aus, den Aufstellungsbeschluss für den projektbezogenen Bebauungsplan zu fassen. Er begründet sein Vorgehen auf vorOrt.news: „Der Aufstellung des Bebauungsplanes war nötig, um überhaupt vom Netzbetreiber eine Auskunft zu bekommen, wie hoch und wo eingespeist werden kann. Vorher bekommt man nur unverbindliche Auskünfte.“  

Pfitzner begründet die Notwendigkeit des Aufstellungsbeschlusses also mit einer Notwendigkeit der EGF. Laut Mitteilung der Gemeinde soll für die Aufstellung des Bebauungsplans aber nicht relevant sein welche privatrechtlichen Verträge der Eigentümer geschlossen hat. Mit anderen Worten: Die Belange der EGF (Vertragspartner des Eigentümers) sollten für den Aufstellungsbeschluss nicht relevant sein.

Warum setzt er sich aber in seiner Rede nicht auch für die Interessen der Gemeinde ein? Dadurch, dass er klärt, wer konkret die Anwaltskosten und Planungskosten trägt, die seitens der Gemeinde zunächst anfallen. Indem er auf Klarstellung pocht, wer der Bauwerber sein wird. Und indem er auf zeitnahe Unterzeichnung des Städtebaulichen Vertrags mit diesem drängt. Das ist aus Gemeindesicht unter anderem deshalb wichtig, weil die Gemeinde mit diesem Vertrag den Bauwerber zur Übernahme der bei ihr angefallenen Kosten verpflichtet.

Es waren andere Ratsmitglieder, die im Sinne der Gemeindeinteressen mehr inhaltliche Aussagen zu dem Vorhaben forderten. Aufgrund der vielen offenen Fragen lies sich Ratsmitglied Dr. Behrens-Ramberg schließlich von Bauamtsleiter Christian Wolfert versichern, dass diese inhaltlichen Fragen alle noch behandelt werden würden.

Nur 90% der Gewerbesteuer aus dem Tutzinger Bürgersolarpark?

Zur Tutzinger Gewerbesteuer meint Pfitzner auf vorOrt.news : „Auch das Thema Gewerbesteuer hat sich mittlerweile grundlegend geändert: Seit Juni 2021 gilt, dass 90 Prozent der zu zahlenden Gewerbesteuer an die Standortkommune der Freiflächen-PV-Anlagen bleiben. Dadurch bleiben deutlich mehr Gewerbesteuereinnahmen vor Ort.“  Warum sollte sich die Gemeinde Tutzing damit zufriedengeben, dass sie von der Tutzinger PV-Projektgesellschaft (Bürgersoalrpark) nur 90% der Gewerbesteuer bekommt? Warum sollen 90% deutlich mehr sein als 100%.

Tutzing hat bereits eine Freiflächen-Photovoltaikanlage in Traubing. Wir haben bei dem Betreiber nachgefragt und Einsicht in seinen Städtebaulichen Vertrag erhalten. Er musste der Gemeinde in diesem Vertrag das Gewerbesteueraufkommen in Höhe von 100 Prozent zusichern.

Offen über Dinge reden ist ein Wert an sich

Wir empfehlen Bernd Pfitzner, künftig dem Wunsch der Tutzinger Bürger nach mehr Transparenz und besserer Bürgerkommunikation zu berücksichtigen. Auch sollte dieser Artikel bitte rein als Beitrag zur Demokratiehygiene verstanden werden – nicht mehr aber auch nicht weniger. Über Dinge offen sprechen zu können, ist ein Wert an sich, der von höchster Bedeutung ist. Denn Transparenz beginnt nämlich allein damit, offen über Dinge sprechen zu können und das dabei alle Gesprächsteilnehmer stets auf der Sachebene bleiben.

Abschließend möchten wir nochmals unsere Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass es in Tutzing Initiativen zur und die Hoffnung auf eine erfolgreiche Wärmewende mit nachhaltiger Energie gibt.

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Hintergrundinformation:

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2 Replies to “Befangenheit: Wenn ein Gemeinderat schweigen muss”

  1. Liebe Tutzinger Liste,

    ich möchte hier meine ganze Argumentation nicht wiederholen, warum ich mich an der Abstimmung beteiligt habe. Wer das nachlesen möchte, kann das hier gerne tun: https://www.vorort.news/tutzing/energie/2023/12/5/starnberger-see-soll-waermequelle-werden/
    Es wäre sehr schön, wenn Ihr bei Eurem Gemeinderatsmitglied die gleichen Maßstäbe anlegt. In der letzten Gemeinderatssitzung hatte sich dieses nicht so vorbildlich verhalten wie damals Herr Mitschke-Collande. Letzterer war allerdings nur „verwandtschaftlich betroffen“. Diesmal ging es um einen persönlich eingereichten Bauantrag! Die Betroffenheit war für die Gemeinderat und die Außenstehenden nur sehr schwer zu erkennen. Näheres dazu findet man hier: https://www.vorort.news/tutzing/kommentar/2023/12/8/schulungen-fuer-mitglieder-des-gemeinderates-durch-die-vorstandschaft-der-tutzinger-liste/

    Mit besten vorweihnachtlichen Grüßen

    Bernd Pfitzner

    1. Sehr geehrter Herr Behrens-Ramberg,
      liebe Tutzinger Liste,

      ich habe wohl einen Fehler gemacht und möchte mich hier öffentlich dafür entschuldigen. Ich war dem Irrtum aufgesessen, dass Herr Behrens-Ramberg, befangen gewesen sei, weil er den Bauantrag selber eingereicht hat. Nun habe ich erfahren , dass dem wohl nicht so sei. Ich habe übersehen, dass man auch durch andere Umstände als das Einreichen eines Bauantrages befangen sein kann. Ich bitte Sie persönlich Herr Behrens-Ramberg um Entschuldigung, für meine falschen Schlüsse und meine falsche Äußerung. Dieser Umstand zeigt mir persönlich, dass man im Gemeinderat in Zukunft viel sorgfältiger mit dem Thema Befangenheit und Gründe für die Befangenheit umgehen muss, aber es auch sichtbarer im Gemeinderat leben muss. Ich bitte um Entschuldigung. Ich werde in Zukunft sorgfältiger auf meine Äußerungen achten.

      Mit bedauernden Grüßen

      Bernd Pfitzner

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